Der Cookie ist tot – es lebe Retail Media!
Marktplätze können von der Wirkungslosigkeit der Cookies enorm profitieren – wenn sie ihr Media-Geschäft entsprechend aufstellen

Kürzlich wurde ich nach meiner Einschätzung hinsichtlich der Entwicklung von Retail Media gefragt: Wie geht es weiter? – Aus meiner Sicht klar nach oben. Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste erscheint mir die Entwicklung bei Amazon zu sein. Diese ist heftig. Dann steigen immer mehr Marktplätze in dieses durchaus attraktive Geschäft mit Retail Media ein – sozusagen der Ersatz für den guten alten Werbekostenzuschuss (WKZ). Zuletzt ist es noch so, dass innerhalb der Plattformen durch den meist automatisierten Login-Vorgang genaue Targeting-Optionen bestehen, die durch den Cookie Exodus zum Teil verschwunden sind.

Das andere Amazon-Fly-Wheel

Im Vergleich zu vor einem Jahr hat sich das bei Amazon etwas verschoben. Man bekommt jetzt tatsächlich ein Online-Reporting für die DSP Kampagnen. Im Gegenzug gibt es absolut keine Infos mehr über den Zusammenhang mit Sponsored Brands und Sponsored Products. Die Attribution ist also unmöglich und man kann als Planer nur noch mit aggregierten zusammenhanglosen Werten rechnen. Aus meiner Sicht ist das eine Masche, um aus dem häufig nicht sonderlich qualifizierten Verkaufspersonal der Vendoren, das auf die Kampagnen steht, mehr WKZ heraus zu quetschen (ist echt schwierig, aber die Kampagnen laufen superhäufig über Sales deshalb sag ich WKZ). An dieser Stelle agiert Amazon wirklich super. Wie funktioniert das Ganze?

Das andere Amazon Fly Wheel
Das andere Amazon Fly Wheel

 

Beginnen wir am Ende des Sommers, dann wird der Kreislauf des etwas anderen Amazon Fly Wheels am deutlichsten. Vielleicht kennen Sie das schon, wenn Sie als Hersteller (aka Vendor) auf Amazon aktiv sind: Die Bestellungen des Online-Riesen steigen. Damit auch die Freude über blendende Umsatzzahlen. Roherträge haben Sie an dieser Stelle nicht wirklich im Blick. Vielleicht sind Sie auch ein wenig abgelenkt. Auf jeden Fall soll Amazon die an Lager befindliche Ware verkaufen. Durchaus naheliegend sind dann Aktionen wie Prime Days, Cyber-Mondays und -Weeks. Diese Kampagnen sind schon ein wenig wie ein trojanisches Pferd. Der für Amazon-Sales Verantwortliche gibt die Kampagnen an die entsprechende Abteilung bei Amazon durch oder bucht diese im Backend ein. Manchmal laufen die Kampagnen gut, mitunter auch schlecht – ganz egal – im Herbst steigen die Umsätze und auch die Roherträge. Das dicke Ende kommt in Januar und Februar: Dann verschickt Amazon seine Belastungsanzeigen für die Kampagnen aus dem Herbst. So können die Beträge i.d.R. nicht mehr dem vorangegangenen Jahr zu gebucht werden. Der Vertriebsmitarbeiter startet also total unter-performant ins Jahr und jagt bis in den Herbst wie eine Bestie den Umsätzen hinterher. Aus dem Controlling hagelt es Hinweise hinsichtlich der aus dem Ruder gelaufenen Umsätze. Amazon verrechnet die Belastungsanzeigen häufig einfach mit den Rechnungen der Vendoren. Wenn das alles wäre: Die Plattform nimmt sich noch ein langfristiges Rücksenderecht für bestellte und an Lager befindliche Produkte heraus. Zum Jahresanfang – wenn das Logistik-Personal aus dem Weihnachtsgeschäft noch da ist – kurzerhand zurückgeschickt und treiben die Umsätze weiter nach unten. Coole Nummer von Amazon – eigentlich – und Retail Media brummt auf der Plattform, weil man natürlich die zu Anfang des Jahres miesen Umsätze kompensieren möchte. Das Fly-Wheel dreht sich und das Phänomen ist im Herbst wieder vergessen. Auf expandierenden Marktbereichen beginnt das Spiel aufs Neue… Vorsorglich wird das Budget für Sponsored Products, Sponsored Brands und die Amazon DSP-Kampagnen erhöht – sonst ist das antizipierte Wachstum kaum erreichbar. Denn ohne Werbeinvestitionen schwindet die für den Umsatz notwendige Sichtbarkeit.

Viele weitere Marktplätze folgen

Angetrieben vom sichtbaren Erfolg Amazons sind viele weitere in Deutschland aktive Marktplätze dabei, Werbeprogramme aufzulegen. Wie Netzökonom Holger Schmidt vergangenen Herbst in einem Talk mit Torsten Ahlers meinte, ist dazu v.a. ein funktionierender Selfservice beim Marktplätz notwendig. Ahlers ist inzwischen von Otto zu Mediamarkt Saturn gewechselt. Möglicherweise wird es dort ja etwas mit dem Selfservice. Bei Otto war es zudem viele Jahre nicht ganz einfach, Produkte zu listen, Daten zu pflegen. Ja – und da war auch noch etwas mit der Logistik…

Das ist übrigens eine notwenige Bedingung: Hersteller sind natürlich stark daran interessiert ihre Produkte zu listen und Daten so abzugeben, dass dies für die Plattform einfach ist. Bei Amazon ist dies schon schwer genug – aber es läuft soweit. Wenn ich dagegen an die Interfaces und den Listing-Prozess bei Wayfair denke, sollte ich besser nicht weiterschreiben. Bei wenigen Produkten aus einer Kategorie wird man sicher noch die Contenance bewahren. Sobald die Zahl der Produkte größer wird und die Zahl der Kategorien steigt, wird man grün im Gesicht… die Listungs-Motivation schwindet.

Also liebe Marktplatzbetreiber: Wenn ihr dolle Umsätze mit Online-Werbung (aka WKZ) machen wollt, dann sorgt für einen extrem einfachen Listungs-Prozess. Ob ihr nun AboutYou, Conrad, Douglas, Media Markt Saturn, Rewe, Wayfair oder Zalando heißt, ist dabei eigentlich gleich.

Zukunft ohne Cookie: Marktplätze profitieren, weil sie die Kunden-Logins haben

Retail Media wird noch aus anderen Gründen gut laufen. Bei Amazon ist es beispielsweise so, dass man mit DSP-Kampagnen auf den eigenen Markenshop geht (den man ja auch selbst pflegen muss…). Dadurch vermeidet man bei Amazon das Störfeuer der Wettbewerber, die in Sponsored Brands oder Sponsored Product Kampagnen Huckepack auf gleichen Keywords unterwegs sind und die eigene Werbewirkung reduzieren. Was aber noch viel schlimmer ist und Retail Media weiter forcieren wird (wirklich!), ist die Nummer mit der Verdrängung von Cookies und den IDFAs bzw. UDIDs oder IMEIs. Dadurch werden die Targeting-Möglichkeiten außerhalb der Retailer-Umgebungen erheblich reduziert. Da Retailer an der Stelle aber gerne mit automatischen Logins arbeiten und sich somit die Kundendaten merken können, sind diese klar im Vorteil. Es wird zumindest mittelfristig zu einer Machtverschiebung im Werbemarkt zugunsten der Retailer kommen – wenn diese es schaffen, im Werbebereich Selfservice oder wenigstens die Bedienung der Werbesysteme per API zu erlauben.

Das könnte noch größere Wirkung entfalten als gedacht, sollten Dienstleister wie Teads auf die Idee kommen, im Rahmen ihrer TOFU Kampagnen auch noch mit Marktplätzen zusammenzuarbeiten. Ich durfte einem Webinar des Dienstleisters beiwohnen, in dem der Login auf Publisher-Websites als eine Cookie-Alternative thematisiert wurde. Retail Media und ein sehr viel häufigerer Login-Anteil als bei den Publishern spielte in diesem ansonsten sehr spannenden Webinar keine Rolle – v.a. auch wegen der möglichen Verbindung zur Video-Werbung. Möglicherweise sind hier ja auch die Verantwortlichkeiten bei den Herstellern entscheidend: Marketing kümmert sich um Media, Sales um WKZ. Die hier entstehende Lücke sollte von den Marktplatzbetreiber geschlossen werden.